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Die ehrlichen Lügner

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Wie oft lügen wir wirklich? (thinkstock)

Jeder Mensch, so lesen wir häufig, lügt im Schnitt zwei Mal am Tag. Leider hat dieser Wert einen Schönheitsfehler: Er basiert auf Eigenberichten. Aber sagen Menschen überhaupt die Wahrheit, wenn es darum geht, wie häufig sie flunkern? Niederländische Forscher sind dieser Frage nun auf den Grund gegangen und haben festgestellt: Wer angibt, häufig zu lügen, neigt in Experimenten tatsächlich zum Schummeln. Der Hang zum Flunkern ist dabei extrem unterschiedlich ausgeprägt: Die Mehrheit lügt fast nie, eine Minderheit dafür andauernd.

Eigentlich sind Lügen verpönt. Und doch nutzen wir sie alle gelegentlich als soziales Schmiermittel: Um die Gefühle anderer Leute nicht zu verletzen oder um selbst besser dazustehen, für den guten Zweck oder zu unserem eigenen Vorteil. Mehrere Studien kamen in der Vergangenheit zu dem Ergebnis, dass einfach jeder lügt – und zwar im Durchschnitt genau zwei Mal pro Tag. Leider hat dieser Wert zwei Schönheitsfehler: Erstens basiert er auf Eigenberichten mit unbestimmtem Wahrheitsgehalt. Zweitens sagt er nichts darüber aus, ob wir alle flunkern, oder ob es einige chronische Lügner gibt, die den Durchschnitt anheben.

Eine Gruppe niederländischer Forscher um Rony Halevy von der Universität Amsterdam ergründet nun in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Human Communication Research“, wie sehr diese beiden Schönheitsfehler ins Gewicht fallen. Dazu prüften die Wissenschaftler, wie stark sich die Wahrheitstreue der Menschen unterscheidet. Sie untersuchten außerdem erstmals, ob Personen, die sich selbst als häufige Lügner bezeichnen, eher zum Schummeln neigen – und umgekehrt.

Zuerst befragten die Forscher über 500 Psychologiestudenten im ersten Semester dazu, wie oft sie in den letzten 24 Stunden geflunkert hätten. Die Studenten kamen auf einen Durchschnittswert von 2,04 Lügen pro Tag. Bemerkenswert war jedoch die Verteilung: 41 Prozent gaben an, nie zu lügen. Andere verdrehten die Wahrheit hingegen nach Herzenslust. „Insgesamt erzählten fünf Prozent der Probanden 40 Prozent aller Lügen“, schreiben die Forscher. Diese Schummelfraktion erzielte außerdem höhere Werte auf einer Skala zur Bewertung psychopathischer Tendenzen.

Eine bewusste Entscheidung für die dunkle Seite

Im zweiten Versuch luden die Wissenschaftler 51 ehrliche und unehrliche Teilnehmer ins Labor ein. Diese spielten dort zwei Spiele: In ersten Experiment galt es verdeckt zu würfeln und die Augenzahl anzugeben. Im zweiten Experiment waren die Buchstaben eines Wortes umgestellt worden und mussten in die richtige Reihenfolge gebracht werden; die Probanden gaben hinterher lediglich an, wie viele Rätsel sie gelöst hatten. Je besser sie abschnitten, desto mehr Geld erhielten sie. Beide Versuchen hatten einen eingebauten Schummeltest: Beim ersten Spiel galt als Lügner, wer deutlich besser abschnitt als statistisch wahrscheinlich war. Beim zweiten Spiel war eines der neun Rätsel nicht zu lösen.

Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass Probanden, die nach eigenen Angaben oft logen, auch im Labor eher flunkerten, um eine höhere Belohnung einzustreichen. „Es scheint, als würden häufige Lügner nicht nur öfter schummeln; sie sind auch eher bereit, es zuzugeben“, schreiben die Forscher. Dabei hatten Münchhausens Erben in zusätzlichen Tests keine Probleme damit, moralische Unterscheidungen zwischen richtig und falsch zu treffen – sie entschieden sich offenbar ganz bewusst für die dunkle Seite. Das Ergebnis dürfte jene beunruhigen, die chronische Lügner in ihrem Umfeld vermuten. Psychologen hingegen können aufatmen: Selbst schlimme Schummler beantworten Fragebögen zum Lügen in etwa wahrheitsgemäß.

Quelle: Bild der Wissenschaft vom 13.12.2013

Rony Halevy (University of Amsterdam) et al: Human Communication Research, DOI:10.1111/hcre.12019

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