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Fluch und Segen der Ökonomie des Teilens

Von Jeanette Seiffert

Autos, Wohnungen und andere Dinge zu teilen ist längst kein Nischenphänomen mehr, sondern ein Milliardengeschäft. Während die einen die Sharing-Idee kuschelig und gemeinschaftlich finden, sprechen andere vom „Plattform-Kapitalismus“, der den Konsum nur noch mehr ankurbelt.

Die sogenannte Sharing Economy, wie man das Teilen von Konsumgegenständen oder Dienstleistungen über Plattformen im Internet nennt, ist zu einem stabilen Trend geworden.

Mit wenigen Mausklicks oder ein paarmal Tippen auf dem Smartphone kann man eine Putzhilfe buchen, Legosteine ausleihen, das zu eng gewordene Abendkleid gegen eine Handtasche tauschen oder beim Zimmervermittler Airbnb eine private Unterkunft buchen. Für immer mehr Menschen bietet dies eine willkommene Alternative zum herkömmlichen Angebot.

Dabei sei das Konzept nicht neu, sagt Daniel Veit, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Augsburg. Die Ursprünge unseres Wirtschaftens gingen schließlich auf Teil- und Tauschmodelle zurück:

„Wir führen sozusagen einen Kreis zu Ende und kommen zurück zu einer Wirtschaft, die in einer ähnlichen Form – vermeintlich – funktioniert. Weil in der Realität die meisten Geschäftsmodelle sehr anders aussehen.“

Denn das Teilen oder auch gemeinschaftliche Nutzen ist längst mehr als ein Nischenphänomen, bei dem Mitmenschen anderen etwas Gutes tun: Es ist ein Milliardengeschäft. Immer neue Anbieter mit zum Teil sehr aggressivem Geschäftsgebaren drängen auf den Markt. Die Auswirkungen bekommt derzeit vor allem die Taxi- und Hotelbranche zu spüren: Ihre Umsätze leiden unter den günstigen Angeboten auf Plattformen wie Uber oder Airbnb. Die Anbieter dagegen betonen, dass sie mit innovativen Konzepten alte Geschäftsmodelle nur ergänzen – und damit den Kuchen einfach größer machen.

„Wir wollen das Taxi nicht verdrängen, sondern wir wollen einfach weitere Möglichkeiten aufzeigen“, meint etwa Fabien Nestmann, Deutschland-Chef von Uber. „Wenn dadurch ein bisschen Wettbewerb entsteht, ist das durchaus eine interessante Sache. Das sage ich jetzt für mich persönlich, ich finde es immer gut, wenn Wettbewerb entsteht.“

Aber kann man wirklich von einem fairen Wettbewerb sprechen, wenn ein Hotel oder ein normales Taxiunternehmen eine ganze Reihe von gesetzlichen Auflagen erfüllen muss, ein privater Zimmervermieter oder Uber-Fahrer aber nicht? Der Ökonom Daniel Veit hat Zweifel: „Wenn man sich beispielsweise ansieht: Ein Privatwagen ist versichert für eine gewisse Fahrleistung und eine gewisse Fahrform. Wenn man diese Versicherung, die bei etwa tausend Euro im Jahr liegt, zugrunde legt und diesen Wagen plötzlich als Taxi benutzt, dann steht man im Wettbewerb mit Taxen, die eine Jahresversicherung von etwa 5.000 Euro aufbringen müssen, um dieses Fahrzeug so betreiben zu können.“
Aus seiner Sicht wäre es dringend notwendig, neue Regeln für diese neu entstandenen Wirtschaftsbereiche zu schaffen. Das sieht – im Prinzip – auch Uber-Geschäftsführer Fabien Nestmann so: „Uber ist Teil einer Entwicklung, die wir im Moment haben, wo Technologien, insbesondere Technologieplattformen, neue Geschäftsfelder eröffnen oder erleichtern. Und was wichtig ist, ist, dass man einen rechtlichen Rahmen findet, wo solche technologischen Realitäten begutachtet und dann erlaubt werden.“

Im Kern geht es Anbietern wie Uber dabei also um möglichst wenig Regulierung. Sie verfolgen einen libertären Ansatz und sehen sich als Symbol eines freien Unternehmertums, das sich möglichst ungehindert entfalten sollte. „Wir glauben, dass das Personenbeförderungsgesetz nicht alle Möglichkeiten, die es heute schon gibt, berücksichtigt, und damit Möglichkeiten für den Bürger, für uns alle, sich nicht richtig entwickeln können, wie sie das eigentlich sollten.“
Sigrid Bender öffnet die Tür zu einem engen Flur, der in ein hübsch eingerichtetes Zimmer führt. Ein französisches Bett, Kühlschrank, Toaster, Mikrowelle: Für gut 30 Euro pro Nacht bietet das Ehepaar Bender das Zimmer mit eigenem Eingang und Bad auf diversen Online-Portalen wie Airbnb, 9Flats oder Wimdu an. Die Idee dazu entstand vor zwei Jahren, als die beiden erwachsenen Söhne aus dem Haus waren. „Ja, was macht man dann mit so vielen Zimmern, zu zwei Personen? Wir hätten dann sieben Zimmer gehabt und zwei Badezimmer, das ist einfach zu viel.“ Statt in eine kleinere Wohnung umzuziehen, finanzieren sie sich jetzt einen Teil der Miete durch die tageweise Untervermietung. Die Vermietungsportale machen das denkbar einfach: Man legt ein Profil an mit Bildern und einer kurzen Beschreibung der Unterkunft, legt den Preis pro Übernachtung fest und braucht dann nur noch auf Anfragen zu warten. Und die kamen schnell, erzählt Sigrid Bender: „Köln ist eine Studentenstadt – Zimmer sind immer gefragt.“

Zumal die Wohnung der Benders in der beliebten Kölner Südstadt liegt, zentral und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut von Uni, Messe oder Innenstadt aus erreichbar. Die Gäste sind meistens Fernstudenten oder Berufstätige auf Dienstreise – viele kommen regelmäßig wieder. Abgerechnet wird bequem über das jeweilige Portal: Je nach Anbieter, verlangen diese bis zu 20 Prozent Provision. Ein Angebot, von dem offenbar alle profitieren: Die Benders, weil sie die Wohnung optimal nutzen und ein paar Euro nebenbei verdienen; die Gäste, weil sie eine günstige Unterkunft erhalten, die größer und persönlicher ist als die meisten Hotelzimmer.

Dennoch sind die Vermietungsplattformen im Internet in die Kritik geraten: Gerade in den Innenstädten der Großstädte, wo Wohnraum knapp ist, gibt es immer mehr Vermieter, die Zimmer oder ganze Wohnungen lieber tageweise im Internet anbieten, als sie dauerhaft zu vermieten. Das ist lukrativer und flexibler.

„Wir haben auch ganz viele Anfragen von Studenten, die längerfristig wohnen bleiben wollen“, sagt Sigrid Bender. „Das machen wir aber nicht, weil wir auch schon mal Freunde da wohnen lassen wollen, dann brauchen wir das auch schon mal für uns privat.“ Viele Städte versuchen, der privaten Untervermietung rechtlich einen Riegel vorzuschieben: Berlin beispielsweise hat Anfang des Jahres ein Gesetz gegen „Zweckentfremdung von Wohnraum“ erlassen. Sigrid Bender weiß, wie umstritten die Zimmervermittlung ist: Doch in ihrem Fall treffe der Vorwurf der Wohnraumverknappung nicht zu. „Also, bei uns wäre das so, dass wenn wir das nicht mehr machen dürften, dann würde das nicht bedeuten, dass dieses Zimmer als Wohnraum wieder zur Verfügung stünde.“ Schließlich habe ja auch keiner etwas davon, wenn das Zimmer leer stehe, so argumentiert sie.

Kritiker sehen eher die Ausweitung des Konsumverhaltens
Anbieter wie Uber oder der Online-Zimmervermittler Airbnb sehen sich als Vorreiter eines neuen, nachhaltigeren Wirtschaftens: Weil nicht jeder gezwungen ist, alles Notwendige selbst zu besitzen, und die Menschen viele Dinge stattdessen teilen, werden weniger Ressourcen verbraucht. Aber stimmt das tatsächlich?

Niko Paech, der an der Universität Oldenburg unter anderem über Umweltökonomie und nachhaltiges Wirtschaften forscht, ist skeptisch: Die günstigen und leicht verfügbaren Angebote führen seiner Ansicht nach eher zu einer Ausweitung des Konsumverhaltens: „Denn es ist ja störend, wenn man die Dinge vermehren will, und die Dinge müssen a) gekauft werden und b) untergebracht und c) gewartet und gepflegt werden. Und dann kann man den Konsumgüterbestand vergrößern, indem man bestimmte Funktionen auslagert. Das heißt, das Auto, das ich nicht selber bezahlen oder unterbringen möchte, das wird dann eben vom Carsharing-Unternehmen vorgehalten und damit für mich verfügbar gemacht.“

Unsere Wirtschaft ist auf Wachstum ausgelegt, erklärt der Wissenschaftler – und unter diesen Umständen ist es eben nicht so, dass Sharing-Modelle zu einer „Dematerialisierung“ beitragen: „Es ist eher umgekehrt: dass Sharingmodelle zu einer Verdichtung unseres materiellen Wohlstandes führen.“ Rein theoretisch biete die „Sharing Economy“ durchaus die Chance, mit weniger Ressourcen und Geld auszukommen: Das gelte aber nur in einer Gesellschaft, die sich von der Idee des Wachstums befreit habe.

„Aber unter den gegenwärtigen Bedingungen, die ja einer Steigerungslogik des Einkommens und des Konsums entsprechen, bedeutet Sharing im Prinzip nur eine Anreicherung unseres Lebens mit noch mehr Services und Produkten, die eben billiger werden durch Sharing.“

Im Klartext heißt das: Das Geld, das jemand spart, indem er bei einer Reise die Unterkunft bei Airbnb bucht, gibt er am Ende für mehr Reisen aus – oder dafür, sich einen teuren Flug ans andere Ende der Welt leisten zu können. Und die vielen Carsharing- und Mitfahr-Angebote, die in den Großstädten aus dem Boden sprießen, machen vor allem dem öffentlichen Nahverkehr Konkurrenz – und verstopfen die Innenstädte noch mehr. „Man spricht hier von so genannten Rebound- oder Bumerangeffekten.“

Darunter versteht Niko Paech auch, dass bestimmte Angebote dazu führen, dass ein bestimmtes Konsumverhalten erst entsteht:

„Wenn junge Menschen beispielsweise, die nie auf die Idee gekommen wären, Auto zu fahren, weil sie das Auto ja hätten kaufen müssen, wenn die durch die Verfügbarkeit solcher Sharing-Lösungen erst einmal ans Autofahren, also den motorisierten Individualverkehr herangeführt werden, werden auch Routinen oder Mobilitätskulturen stimuliert – oder Menschen an bestimmte Mobilitätskulturen herangeführt.“

Sharing: Das klingt kuschelig und gemeinschaftlich, nach Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich. Dennoch gibt es längst viel grundsätzlichere Bedenken gegen die Ökonomie des Teilens. Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Veit sieht zwar prinzipiell viele positive Aspekte: „Das Problem ist nur, dass dieses Phänomen, das bisher eine starke Nischen-Funktion dargestellt hat, sich sehr viel breiter darstellt. Und diese starke Verbreitung führt natürlich zu Nebeneffekten für die Gesamtgesellschaft.“

Einer dieser Effekte ist, dass Vermittlungsportale wie Airbnb oder Uber neue Steuerschlupflöcher bieten: Denn wer will kontrollieren, ob die Vermieter oder Teilzeit-Fahrer ihr zusätzliches Einkommen auch versteuern? Veit verweist auch auf die Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Denn einerseits biete die „Sharing Economy“ theoretisch jedem eine einfache Möglichkeit, zum Kleinunternehmer zu werden. Andererseits entstünden dabei weitgehend unregulierte Bereiche, die hart erkämpfte Arbeitnehmerrechte unterlaufen könnten.

Wer auf einer Plattform seine Arbeitskraft oder bestimmte Dienstleistungen anbietet, ist in aller Regel selbstständig, trägt also sämtliche Risiken selbst. Tariflöhne, Arbeitsschutz, Absicherung im Krankheitsfall? – Fehlanzeige. Gewerkschaften warnen vor neuen Formen der Ausbeutung: Es drohe ein neues Prekariat aus schlecht bezahlten und weit gehend schutzlosen Arbeitskräften.

Manche sprechen deshalb von einem rüden „Plattform-Kapitalismus“, bei dem es weniger um Kundensouveränität und selbstbestimmte Vernetzung geht, sondern vor allem um Marktmacht und langfristige Profite. Viele zweifeln sogar daran, dass der Begriff des Teilens für viele neue Internet-Angebote überhaupt passt: Bei den großen Sharing-Plattformen geht es schließlich längst nicht mehr darum, sich mit den Nachbarn darauf zu einigen, die Waschmaschine im Keller gemeinsam zu nutzen. Oder darum, jemandem eine Bohrmaschine oder ein paar Umzugskartons zu leihen. Sondern es geht um ein knallhartes Geschäft.

Die kleinen Anbieter werden vom Markt gedrängt

Dafür spricht, dass es auch hier, wie in anderen Wirtschaftsbereichen, einen Trend zur Marktkonzentration gibt. Hinter Uber zum Beispiel stehen Großinvestoren wie Goldman Sachs und Google Ventures. Der Marktwert wird inzwischen auf bis zu 25 Milliarden Dollar geschätzt – damit wäre der Fahrdienst mehr wert als Adidas oder die Lufthansa. Bisher gebe es zwar in diesem Bereich auch viele kleine Startups, so der Ökonom Daniel Veit. Doch mit zunehmender Popularität entsteht auch in diesem Bereich das, was Veit „ökonomische Netzwerkeffekte“ nennt: „Diese Netzwerkeffekte führen dazu, dass die ‚großen Fische‘ immer gewinnen und die kleinen Fische gar nicht sozusagen die kritische Masse erreichen, um überhaupt in diesem Spiel mitspielen zu können.“ Die Folge: Die kleineren Anbieter werden vom Markt gedrängt oder aufgekauft. „Was dazu führt, dass eine starke Konzentration von Marktmacht auf einzelne Player entsteht.“ Die Folgen sind schon jetzt zu besichtigen: Erfolgreiche Plattformen, die Putzkräfte oder, wie Uber, Fahrdienste vermitteln, streichen bis zu 20 Prozent des Stundenlohns ein. „Wofür sie aber letztendlich, außer dem Bereitstellen dieser digitalen Plattform, keinerlei werthaltigen Beitrag geleistet haben.“

Uber-Geschäftsführer Fabien Nestmann sieht das anders: „Als Plattform haben wir keine Angestellten, das ist richtig – aber alle profitieren eben von solchen Plattformen, wenn Anbieter und Suchende schneller, effizienter und sicherer zusammen gebracht werden.“ Allen negativen Begleiterscheinungen zum Trotz: Gerade diese Effizienz und Einfachheit, so glaubt der Wissenschaftler Daniel Veit, wird dazu führen, dass die Bedeutung der Sharing Economy in Zukunft weiter zunehmen wird:

„Die Frage wird sein, und das ist die große Herausforderung für unsere Gesellschaft, diesem in einer Art zu begegnen, dass dies nicht die positiven Errungenschaften unserer Gemeinschaftsvereinbarungen letztlich untergräbt, sondern dass es wertstiftend für uns alle stattfinden wird.“

Quelle: Deutschlandfunk – Beitrag vom 21.11.2014

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