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Meerwasserentsalzung


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Meer – Salz = Hoffnung
Trinkbares Wasser wird in vielen Ländern knapp. Meerwasser-Entsalzung ist aufwändig und energieintensiv. Nun verspricht die verblüffend simple Erfindung eines BMW-Designers Abhilfe.

Wie funktioniert technischer Fortschritt? Manchmal so: Eine Behörde stellt Erfindern eine kaum lösbare Aufgabe und ködert sie mit einer Belohnung. So macht es Singapur.
Singapur ist ein reiches, aber kleines Land. Die Fläche reicht für die Wasserversorgung der fünf Millionen Einwohner nicht aus; sauberes Wasser wird zum Teil aus Malaysia importiert. Meerwasser vom Salz zu befreien ist eine naheliegende Alternative. Doch die herkömmlichen Anlagen dafür, wie sie vor allem in den Ölstaaten des Nahen Ostens üblich sind, fressen enorme Mengen fossiler Energie, denn sie erhitzen und verdampfen das Salzwasser. Pro Kubikmeter Wasser brauchen sie etwa zehn Kilowattstunden (kWh), den Energiegehalt von einem Liter Heizöl. Allein Saudi-Arabien erzeugt so vier Millionen Kubikmeter Süßwasser pro Tag, vier Milliarden Liter.

Eine sparsamere Technik ist die sogenannte Umkehrosmose, bei der das Meerwasser mit hohem Druck durch halbdurchlässige Membranen gepresst wird, die das Salz zurückhalten. Mindestenergieverbrauch modernerer Anlagen aber immer noch: etwa drei Kilowattstunden pro Kubikmeter. Die Vision der „Singapore Challenge“ war eine Entsalzungstechnik, die nur 1,5 Kilowattstunden benötigt. Das liegt schon recht nah am theoretisch überhaupt denkbaren minimalen Wert: Um Meerwasser das in Form elektrisch geladener Ionen vorliegende Salz zu entziehen, ist immer ein Mindestmaß an Energie nötig. 36 Teams beteiligten sich an dem Wettbewerb, Universitäten, kleine Firmen, große Konzerne. Das Rennen machte am Ende ein Konzept der Siemens AG. Es erfüllt den Wunschwert nicht ganz, kommt ihm aber mit 1,7 kWh pro Kubikmeter entsalztem Wasser sehr nah – durch die Kombination zweier Techniken, die ganz ohne Hitze und hohen Druck auskommen.

So funktioniert die energiearme Entsalzung
Bildlich gesprochen, lässt sich das Verfahren mit einem Magneten vergleichen, der die Salzionen aus dem Wasser zieht. Dazu wird im Salzwasserbecken ein elektrisches Feld erzeugt, in dem sich raffiniert angeordnete Membrane befinden. Erster Schritt ist die „Elektrodialyse“. Dabei wandern die positiv geladenen Natriumionen und die negativ geladenen Chloridionen durch die Membranlandschaft und sammeln sich in Kammern. Dort steigt dann die Salzkonzentration; im Restwasser sinkt sie in dem mehrstufigen Verfahren von 3,5 Prozent bis auf einen Wert, ab dem die Elektrodialyse ineffizient wird. Deshalb folgt nun ein Verfahren, das sich bei der Reinstwassergewinnung in der Pharma- und Computerindustrie bewährt hat: die teurere, aber effizientere „kontinuierliche Elektrodeionisation“, bei der ein „Ionenaustauscherharz“ zwischen den Membranen dafür sorgt, die Ionenwanderung zu beschleunigen und die Restsalzfracht des einstigen Meerwassers auf die für Trinkwasser notwendigen 0,05 Prozent zu senken.

Vier Millionen Singapur-Dollar (rund zwei Millionen Euro) erhielt Siemens im Jahr 2008, um mit dem Konzept (das damals erst im Labormaßstab funktionierte) in Singapur eine Pilotanlage zu bauen. 50 Kubikmeter Wasser pro Tag werden darin seit 2010 entsalzt. Im Jahr 2014 soll in Singapur eine erste Anlage im kommerziellen Maßstab arbeiten: mit mehr als 1000 Kubikmeter pro Tag. Der Bedarf ist immens. Bei wachsender Weltbevölkerung ist Wassernotstand vorprogrammiert. Schon heute sind 300 Millionen Menschen von Wasser aus Entsalzungsanlagen abhängig. 16.000 Anlagen weltweit sind installiert, weitaus die meisten davon im Nahen Osten, es folgen die USA und der Mittelmeerraum. „Das wird sich dramatisch nach oben entwickeln“, sagt Rüdiger Knauf, Entwicklungsleiter der Wassersparte bei Siemens.

Sparsame Technik ist gut; doch auch sie kann nicht mit jener Eleganz konkurrieren, die in der Natur Standard ist: Sonnenenergie lässt Meerwasser verdunsten, das Salz bleibt im Ozean – und aus den Wolken regnet Süßwasser. Ein entscheidender Schritt wäre es, auch bei industriellen Anlagen regenerative Energiequellen wie die Sonne zu nutzen. Das ist in Singapur noch nicht geplant. Eine solarbetriebene Meerwasser- Entsalzungsanlage nach dem Prinzip der Umkehrosmose ist derzeit in Saudi-Arabien mithilfe von IBM im Bau. Erprobt werden darin neuartige Photovoltaik-Module und Membranmaterialien. Probleme aber bleiben: In allen Großanlagen fällt extrem salzhaltiges Abwasser an, das ins Meer zurückgeleitet wird und die Organismen dort schädigt. Und: Die Systeme sind so teuer, dass arme Länder sie sich nicht leisten können. An dieser Stelle kommt der Erfinder des „Watercone“ ins Spiel. Stephan Augustin, 44 Jahre alt, ist hauptberuflich Industriedesigner bei BMW und liebt jenseits des Jobs „ethische Herausforderungen“.

Lowtech-Entsalzung
Bei einem Fuerteventura-Urlaub 1997 saß er am Strand und überlegte, ob es nicht einen ganz simplen Weg geben könnte, aus Meerwasser plus Sonne Trinkwasser zu gewinnen. In kleinen Mengen. Ohne Strom. Ohne Membranen. In einem tragbaren Gefäß. Dezentral. Erschwinglich. Es dauerte einige Jahre, bis Augustin in seiner Freizeit den Prototyp des Watercone ausgetüftelt hatte: Der Boden ist eine flache schwarze Kunststoffschüssel von 80 Zentimeter Durchmesser. Darüber wölbt sich ein durchsichtiger Deckel in Form eines Kegels (englisch cone) mit einer Auffangrinne am unteren Rand und einem Verschluss an der Spitze. In die Schüssel wird Meerwasser gefüllt. Die Sonne bringt es zum Verdunsten; der Wasserdampf kondensiert am Kegel und läuft in die Rinne ab. Nach einem Sonnentag ist sie voll, nun braucht man das Gerät nur umzudrehen, den Verschluss zu öffnen und das Süßwasser in Flaschen, Becher oder Kanister abzufüllen: ein bis anderthalb Liter, den täglichen Trinkwasserbedarf eines Kindes.

Ein dreimonatiger Feldversuch im Jahr 2004 zeigte in einem Fischerdorf im Jemen: Das Lowtech-Prinzip funktioniert. Augustin gewann Design- und Umweltpreise, 2008 überreichte ihm Kofi Annan den „Energy Globe“. Dennoch sind erst etwa 5000 Kegel verkauft. Der bisherige Preis, 50 US-Dollar, ist wegen des Spezialkunststoffs und des Herstellungsverfahrens recht hoch; obendrein hielt das Material nicht wie erwartet fünf Jahre. Ein optimiertes Modell ist in Arbeit und soll demnächst auf den Markt kommen – billiger und aus besser geeignetem Kunststoff.

Auch so kann technischer Fortschritt funktionieren: Ein Mensch sitzt am Strand, hat eine Inspiration, experimentiert, testet, verwirft, verbessert – bis die Idee reif ist, sich durchzusetzen.

Quelle: Hanne Tügel – geo.de – Werkstatt Zukunft

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