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Sind Rippenquallen die Urväter aller Tiere?

Foto: Bruno Vellutini, Sars International Center of Marine Molecular Biology, University of Bergen / Norway

Nesseltiere – Schaurig schön und potenziell tödlich – Foto: Aaron Ansarov/ www.ansarov.com/zooids

Genuntersuchungen zeigen, dass die ersten Tiere nicht so simpel gebaut waren wie bislang gedacht. Simple strukturierte Schwämme entstanden demnach später in der Evolution als die glibberigen Wesen.

Tiere waren zuerst auf der Welt? Forscher fragen sich das seit Langem. Sie gingen bislang davon aus, dass es ein möglichst einfacher Organismus sein müsste, einer, bei dem es noch nicht viele verschiedene Gewebetypen gibt. Eine Urvariante also, aus der die heute existierende Vielfalt des Lebens sich entwickeln konnte.

Bislang glaubten Biologen, dass dieses überaus einfach gebaute Lebewesen so ausgesehen haben muss wie heutige Schwämme: Diese haben nur drei verschiedene Zellarten, Muskel-, Nerven- und Sinneszellen fehlen ihnen völlig. Sie sind offensichtlich sehr basale Organismen. Die Vorfahren heutiger Schwämme als Urtiere passen gut in das Bild von der Evolution des Lebens. Aus einfachen Strukturen sind komplexe Zellsysteme hervorgegangen.

Doch nun präsentiert Joseph F. Ryan von der Genome Technology Branch des amerikanischen National Institute of Health in „Science“ eine andere Geschichte der frühen Tiere. Genanalysen konnten bestätigen, dass es die bunt schillernden Rippenquallen sind, die an der Basis des tierischen Stammbaums stehen. Von den zarten Glibberwesen gibt es, da sie fast ausschließlich aus Flüssigkeit bestehen, keine fossilen Belege. Die Paläontologie kann den Evolutionsbiologen hier also nicht weiterhelfen.

Rippenquallen sind Verwandte der normalen Quallen, die jeder vom Strand kennt. Anders als diese besitzen sie aber nicht die typischen Nesselzellen, mit denen beispielsweise Feuerquallen Urlaubern den Badespaß verderben können.

Genforscher versuchen nun zu helfen. Sie vergleichen die Gene verschiedener Tierstämme und suchen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Daraus rekonstruieren sie den Stammbaum des Lebens.

Unbenutzte Gene

Bislang galt, dass so komplexe Zelltypen wie Muskel- oder Nervenzellen sich erst später in der Evolution entwickelt haben. Eine spezielle Analyse des Erbgutes der Rippenqualle Mnemiopsis leidyi, zu Deutsch: Meerwalnuss, gab Aufschluss über den genauen Aufbau dieser Tiere. Sie haben Muskelzellen, aber in ihrem Erbgut gibt es wesentlich weniger Gene für diese Zellen als bei anderen Tieren. Genetisch sind die Muskelzellen der Rippenquallen also recht primitiv. Die Forscher glauben sogar, dass sich diese genetisch sehr einfachen Muskelzellen früher und unabhängig von den bei anderen Lebewesen bekannten Muskelzellen entwickelt haben.

Auch von den Genen des Nervensystems der Rippenquallen wurden die Forscher überrascht. Die Meerwalnuss besitzt Nervenzellgene, die auch bei Schwämmen gefunden wurden. Anders als die Quallen besitzen die Schwämme aber gar keine Nervenzellen, sie nutzen diese Gene also nicht. Ergo habe sich die genetische Grundlage für Nervenzellen bei den Rippenquallen entwickelt – sei von den Schwämmen aber nicht weiter benötigt worden.
Die neue Studie, die im Journal „Science“ veröffentlicht wurde, zeigt also, dass es vor den Schwämmen bereits Rippenquallen gab. Stellt man sich den Stammbaum der Tiere vor, so zweigt der Ast der Rippenquallen also weit unten bereits ab. Der Ast für die Schwämme biegt erst ein bisschen weiter oben ab.
Der Urvater aller Tiere war somit wahrscheinlich ein überaus zartes Wesen

Quelle: „Die Welt“ vom 15.12.2013
Artikel von Pia Heinemann

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